„Immer unterwegs" 1939-1945
Es drängt mich, unter diesem Motto zur 200-Jahrfeier unserer Kongregation aus den wohl bewegtesten Jahren meines Ordens- und Berufslebens zu erzählen. Es geschehe einmal als Dank gegen Gott, der (in diesen gefährlichen Jahren 1939-1945) in allen Fährnissen immer wieder wahrmachte, was ein Spruch sagt: „Wem Gott eine Tür zuschlägt, dem öffnet er ein Fenster." Zum andern in der Hoffnung, daß dadurch die heutige zum großen Teil labile und scheinbar Gott fernstehende Jugend erkennen möge, daß letztlich Gott es ist, der in Not und Gefahr Halt sein kann, führt, leitet und dem ihm Vertrauenden Kraft und Schutz gewährt.
Nach fünf Jahren begeisterten Wirkens unter der Jugend in Schule und Freizeit brach die Nachricht über die Aufhebung der Handelsschule 1939 diese Tätigkeit jäh ab. Eine Fortsetzung in der Oberschule wurde durch deren Aufhebung 1940 auch unmöglich. Ein reiches Arbeitsfeld tat sich durch Privatstunden auf. Die mutigen Direktoren in Oberschule und Handelslehranstalten sorgten für viele Schüler und Schülerinnen mit Stunden in Latein, Mathematik, Englisch, Französisch und Deutsch. Doch auch darin sah die Nazi-Regierung einen Schaden für das Volk. 1941 wurde das Verbot für Privatstunden bei Geistlichen und Ordensleuten erlassen. „Tür und Fenster" waren zugeschlagen.
Der HERR aber ließ das Unterrichten nicht untergehen. Bald öffnete sich wieder ein Fenster, das mir einen ungeahnten Weitblick bot. 1942 wurde ich zur Ausbildung Erwachsener „beordert". Es handelte sich in der Hauptsache um Schwestern und angehende Schwestern, die als Lehrerinnen auf Grund des Verbotes nicht mehr unterrichten durften und daher in der Arbeit für die Kirche eingesetzt waren. Selbst hier „schlug Hitler zu" durch die Verfügung, daß nicht für die Kirche gearbeitet werden darf
(z. B. Paramenten), wenn keine Meisterin da ist. Die verschiedensten Klöster des „Großdeutschen Reiches" waren damit gezwungen, Schwestern zu Meisterinnen ausbilden zu lassen. Die Initiative übernahm Prälat Dr. Kreuz vom Werthmannhaus Freiburg. Er wurde in Berlin vorstellig und bat um Ausbildung durch eine Ordensangehörige, was ihm gewährt wurde. Diese „Auserwählung" sollte mich treffen.
In den Jahren 1942-1944 war ich viel unterwegs zwischen Villingen, Hegne, Freiburg. Die kürzeste Reise 1942 nach Freiburg ging von Villingen über Mannheim, St. Ingbert (Saargebiet). Dazu war in jenen Zeiten Schmalhans Küchenmeister. Unter den Schwestern befanden sich manche, die schon aus Klöstern vertrieben waren, z. B. eine Karmelitin v. Karmel Luxemburg, Dominikanerinnen (2) vom Kloster Bertholdstein (Österreich), Bettel-Kapuzinerinnen aus dem Sudetengebiet, aus den Klöstern geholt von der Gestapo und irgendwo oder in einem anderen Kloster abgeladen.
Während der Ausbildung zu Meisterinnen wurden die Orte der Ausbildung wie auch die zur Prüfung gewechselt, ebenso teilweise die Prüfungskommission und immer der prüfende Lehrer. Trotz der großen Fliegergefahren wurde eine Prüfung bis nach Heidelberg verlegt. Fahrt 9.45 Uhr abends ab Freiburg in eingenebeltem Zug, Ankunft in Heidelberg morgens 5 Uhr, unterwegs mehrere Fliegeralarme. Doch wir fuhren, uns Gott im Vertrauen überlassend, zum Leben oder Tod. Der Prüfungserfolg war groß, wenn den Kandidatinnen auch vier Wochen Ausbildung entzogen wurden. Durch diese Verlegung wurden wir dem grauenvollen Angriff auf Freiburg „entzogen", wenn man uns auch mit dieser Nachtfahrt untergehen lassen wollte. Dort, wo wir in Freiburg gewohnt hatten, und wo wir verpflegt worden waren, gingen die Gebäude und viele Menschen im Feuer und Bombenhagel unter. Glücklich erreichte jede von uns ihr Kloster oder fand wieder Heimat in einem anderen Kloster.
Mit den Meisterinnen aus jener Zeit, 46 an der Zahl, - manche leben noch - bin ich überzeugt, daß wir mit den vielen, die den Opfertod leiden mußten, Zeugnis für Christus sein sollten in einer Zeit, die (Christus) - Gott - aus der Welt schaffen wollte. Ich wundere mich heute noch, mit welcher Gelassenheit ich als Ordensangehörige durch diese Zeit der großen Gefahren ging. Ich kann es mir nur erklären durch die Kraft in der Nachfolge des Herrn und im Vertrauen auf Ihn sowie auf seiner Mutter und seiner Engel Schutz und Hilfe.
Schwester M. Christa Kohler, Kloster St. Ursula
Sr. M. Christa Kohler
1908 - 2002
Leiterin der Handelsschule
“200 Jahre Kloster St.Ursula Villingen” Festschrift, Villingen, Hrsg.: Kloster St.Ursula Villingen 1982